Den Bürgermeister von Mescherin, Herrn Menanteau, traf ich zum ersten Mal im “Gemeinschaftshaus”, dem heutigen deutsch-polnischen Begegnungszentrum. Diese Räume haben eine lange Geschichte. Vor und nach dem Krieg beherbergte das Haus eine Schule, später, zu DDR-Zeiten, einen “Konsum”, sprich: die dorfeigene Kaufhalle, bis das Gebäude nach der Wende schließlich renoviert wurde und nun das Begegnungszentrum des Dorfes ist. Doch es ist vielmehr die Geschichte seiner Familie, die mir Herr Menanteau erzählt. Die Geschichte einer hugenottischen Familie, die aufgrund ihres Glaubens durch das Edikt von Nantes (1635) aus Frankreich vertrieben wurde. Brandenburg nahm die vertriebenen Hugenotten auf, um die Region zu bevölkern. Die aus Tours stammende Familie Menanteau siedelte sich im 17. Jh. in Vierraden an, wo die Hugenotten maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Tabakindustrie hatten. Herr Menanteau selbst war Landwirt, bevor er in Rente ging. Er erzählt mir von “volkseigenen Gütern” und “Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften”, den sogenannten LPG. Erstere waren staatseigene Güter der DDR, die letztgenannten landwirtschaftliche Kooperativen. “Ich habe mich geweigert, in einer LPG zu arbeiten, weil jeder was zu sagen hatte, aber nie eine Entscheidung getroffen wurde”, erzählt er mir. “Da bin ich lieber in eines der „Volksgüter“ gegangen. Durch die Organisation und die Hierarchie ist es letztendlich eine Person, die entscheidet. Das ist klarer.” Landwirtschaft damals und Landwirtschaft heute: im Alter von 70 Jahren lebt Herr Menanteau mit seiner Zeit. “Hier bei uns lebt man in erster Linie von der Landwirtschaft. Und es wird immer schwieriger. Allein schon mit den Produkten aus Holland und Spanien.» Herr Menanteau fürchtet den Beitritt Polens zum Schengener Raum: “Die Produkte werden billiger sein, da die Löhne in Polen niedriger sind als bei uns. Das bedeutet wahrscheinlich, dass es für unsere Landwirte noch schwieriger wird, denn den technischen Fortschritt Deutschlands werden die Polen rasch aufgeholt haben.” Er vertraut mir an, dass er bewusst deutsche Produkte kauft, um die deutschen Produzenten zu unterstützen. “Nur tanken gehe ich in Polen, in Gryfino, weil das näher liegt. Fünf Kilometer anstelle von 30 !” Gryfino, das ist die polnische Stadt auf der anderen Seite der Oder. Früher waren die Gemeinden miteinander verbunden durch eine kleine Holzbrücke, später durch eine Metallbrücke, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Die Brücke, die dann errichtet wurde, war zunächst allein dem Militär vorbehalten. Erst 1990 wurde die Brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer geöffnet. Und seit 2004 ist die Fahrt über die Brücke auch mit dem Auto möglich. Seit dem Tag des Eintritts Polens in die EU. Der Eintritt Polens in die EU, nein, dagegen hat Herr Menanteau nichts. Doch als Bürgermeister der Gemeinde Mescherin seit über sechs Jahren sieht er allein die negativen finanziellen Folgen. “Eine Geschichte, die sich mit einem Minus davor schreibt!”
2 Kommentare zu "Mescherin, erzählt von seinem hugenottischen Bürgermeister"
Ils finiront comme les agriculteurs français: “pseudo-fonctionnaires de Bruxelles”, ne pouvant survivre qu’àcoup de subventions européennes, tout en critiquant la PAC!!! Merci la techno-burocratie!… Selten zuvor hat jemand auf so eindrucksvolle Weise die Realität hier an Oder und Neiße dokumentiert wie Charlotte in ihren Veloblog-Artikeln.Mit viel Einfühlungsvermögen in die Situation der Menschen,sehr gutem Recherchieren,ihrer Liebe zur Natur hier und nicht zuletzt ihren Humor geschrieben wird man auf jeden folgenden Artikel neugierig gemacht.Fern jeder Schönfärberei werden z.B. auch durchaus kritische Meinungen über den Beitritt Polens zum Schengener Abkommen reflektiert. Weiter so,Charlotte! Hinterlasse einen Kommentar
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