Die Stadt mit dem Rad abzufahren, um ihren Aufbau zu verstehen, das hat schon was! Von einem Häuserblock zum nächsten, von einem Innenhof zum nächsten, da verfährt man sich leicht. Hier sanierte Wohnblöcke, dort welche, die abgerissen werden. Aus den einen lässt man die Bewohner ausziehen, damit man sie in die anderen einziehen lassen kann. Folgt man dem „Pfad der Pioniere“, gelangt man vor einen Schulkomplex. Alles ist dort vorhanden, eine Kinderkrippe, eine Grundschule, eine Realschule und ein Gymnasium, nicht zu vergessen die Berufsschulen. Der größte Teil aber ist geschlossen. Aber nicht nur, weil Sommerferien sind. Nein, sondern weil es nicht genügend Schüler gibt. Gleiches gilt für den Einzelhandel inmitten der Wohnblöcke. Dieser kann nicht mit dem City Center, dem überdimensionierten Shoppingcenter der Stadt, konkurrieren, das in den 90er Jahren - nach der Wiedervereinigung - entstanden ist. Das erklärt mir Carmen Schönfeld im Garten des DDR-Museums, das zuvor ebenfalls ein Kindergarten gewesen ist, bevor es renoviert wurde und 1993 seine Türen für die Öffentlichkeit geöffnet hat. „Die Initiative stammt vom Historiker Dr. Andreas Ludwig. Wir wollten die DDR denjenigen präsentieren, die sie selbst nicht erlebt haben.“ Zur Zeit der Eröffnung, nur drei Jahre nach dem Mauerfall, waren die Reaktionen zwiespältig. Die Einen, eher skeptisch eingestellt, fragten sich, warum ihr Alltag plötzlich zum Ausstellungsstück wurde. Die Anderen, eher neugierig, „Ostalgisches“ zu sehen, kamen, enttäuscht vom Westen, um aufzutanken. „Wir haben es manchmal mit ehemaligen Aktivisten zu tun, die kommen, und mehr Propaganda im Museum fordern. Das sind diejenigen, die die Schattenseiten der DDR, das schlechte Funktionieren des Wirtschaftssystems vergessen haben.“ Die Sammlung der an die 100.000 Exponate wird hauptsächlich von Deutschen besichtigt. Und von Skandinaviern. Aber kaum von Polen. „Das ist schade, aber vielleicht wenn die Grenze verschwunden sein wird…“ Frau Schönfeld ist guter Dinge. Und fährt fort: „Ein polnischer Besucher hat mir einmal Fragen über das Museum gestellt, weil er das gleiche in Polen machen wollte“, erklärt sie mir. „Die Produkte in unseren beiden Ländern waren gar nicht so sehr verschieden, nur die Politik.“ Und es braucht Zeit, mir das Wie und Warum dieser sonnigen Stadt am Sonntag begreiflich zu machen. Von den ersten Baracken aus den 50er Jahren, in denen die Angestellten des EKO Stahl Kombinats wohnten, von der Eisen verarbeitenden Fabrik, errichtet am Oderufer, bis zu den letzten Wohnblöcken, dem „Wohnblock Nr. 7“, erbaut Ende der 80er Jahre. „Bis 1961 hieß die Stadt Stalinstadt. Und dann „Eisenhüttenstadt“… Für viele war es eine Stadt der Träume, mit Arbeit und neuen Häusern.“ Die Region war damals immer noch von den Zerstörungen aufgrund der Kämpfe zwischen Deutschen und Russen gezeichnet. Die Stadt sei hier wegen der Fabrik entstanden, die viele Arbeitskräfte anzog, oftmals Umsiedler aus dem Osten, dem heutigen Polen. Und der Standort der Fabrik, der wurde aufgrund der Oder gewählt, die es eben leicht ermöglichte, Rohstoffe wie Koks aus Polen und der Tschechischen Republik per Flussfracht zu transportieren.“ Heute ist es schwierig, sich dieses ganze industrielle Gewimmel vorzustellen. Der Großteil der kleinen und mittleren Unternehmen der Stadt hat seine Türen nach der Wiedervereinigung für immer geschlossen. „Das ist die Marktwirtschaft“, sagt Frau Schönfeld. „Damals haben die Einwohner nicht daran gedacht, aber indem sie Westprodukte gekauft haben, haben sie das Schicksal der Ostprodukte gleich mitbesiegelt.“ Und sie erklärt mir, wir schwierig es heutzutage ist, eine Arbeit in der Region zu finden: „Viele sind auf Hartz IV. Und die jungen Menschen verlassen die Region für Arbeit, man kann das an den Wochenenden und Feiertagen an den Autokennzeichen erkennen. Manchmal sogar folgt die ganze Familie, um woanders ihr Glück erneut zu versuchen.“ Kurz gesagt, der damalige Slogan von Eisenhüttenstadt: „Die Einwohner sind genauso jung wie ihre Stadt“ ist nicht mehr gültig. Seit 1989 hat die Gemeinde ein Fünftel ihrer Einwohner verloren. Es gibt mehr Todesfälle als Geburten. So kann ich es in den Archiven der Lokalzeitung Märkische Oderzeitung nachlesen, die mir Frau Schönfeld freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Der Umbau des Stadtbildes ist das zentrale kommunale Thema. Sanieren oder abreißen? Bis 2012 sollen 3500 Wohnungen abgerissen und 1500 saniert sein. Wird Eisenhüttenstadt eines Tages wieder so erstrahlen wie einst? Mehr als nur der Traum eines Einwohners. Und die Chance für Architektur-Begeisterte und andere Neugierige durch die Straßen zu schlendern, und ein kleines Stückchen DDR-Geschichte zu entdecken!
4 Kommentare zu "Eisenhüttenstadt von heute, sozialistische Idealstadt von gestern?"
Eh oui! La vie,ce n’est pas que l’économie de marché…C’est un peu l’histoire du rêve américain qui tourne trop souvent au cauchemard?
Jane Proust am 9. August 2007 um 11:34
Qu’est-ce que c’est Hartz IV ? c’est une classification de chômeurs ? Sinon bravo pour ton blog, super bien écrit et qui donne envie de faire le voyage sur tes pas…
Andreas am 10. August 2007 um 18:34
Bei allem gibts auch Grund zum Feiern, so z. B. beim Brückenfest in Fürstenberg (Oder) vom 17. bis 19. August und eine Woche später beim Stadtfest in Eisenhüttenstadt mit Juli und Marianne Rosenberg. “Hartz IV”, c’est le pendant allemand du RMI français. Ironie du sort ou non, le nom de Hartz IV vient de celui qui a pensé ce régime d’eau et de pain sec. Le nom officiel du dit statut: “Arbeitslosengeld II”… raccourci en “ALG II”. C’est qu’il y a tout un jargon de la précarité en Allemagne! A découvrir avec modération… Hinterlasse einen Kommentar
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