Archiv für den 20. August 2007
Die Empfehlung des « Ackerbürgermuseums » erhielt ich von Herrn Arndt vom Förderverein für die Region Gartz (Oder) e.V., nachdem er mir ein Buch über die Geschichte und die Aktivitäten in der Gemeinde überreicht hatte. „In erster Linie ist die Region agrarisch geprägt, auch wenn es nach der Wiedervereinigung Deutschlands schwieriger geworden ist – wir haben hier eine Arbeitslosigkeit von fast 25% - dennoch hat die Landwirtschaft in dieser Region weiterhin den größten Stellenwert.“ So erzählt er mir von der Tradition der Erntedankfeste, welche in den Gemeinden der Region mit großen Umzügen, mit geschmückten Pferdewagen und hübschen Fräulein gefeiert werden. Prompt in dem Moment, in dem sich Frau Mielke anschickt, Feierabend zu machen, stehe ich vor dem kleinen Ackerbauermuseum. Ihr Mann erwartet sie bereits vor der Tür, doch dessen ungeachtet nimmt sich Frau Mielke die Zeit, mir eine Museumsführung zu geben. Die Geschichte der Stadt erzählt sie mir anhand eines Holzmodells, wobei sie nicht versäumt, mir unter anderem einen Besuch bei der Mühle der Stadt zu empfehlen: sehr romantisch! Doch leider bleibt mir keine Zeit mehr für die Mühle. Doch das Schöne an Frau Mielkes Erzählungen ist, dass sie ein wenig ihre eigene Geschichte mit jener der Stadt mischt. Als sie von dem « Kanonenschuppen » spricht, erinnert sie sich der Zeit, als hier noch die Kanonen zwischengelagert waren und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Vertriebenen aus dem Osten hier eine erste Zuflucht fanden. Doch sie spricht auch von den Empfängen während der DDR-Zeiten. « Es waren Empfänge für die Landwirte » erzählt sie mir. « Wir trugen unsere sonntägliche Tracht und empfingen die Leute mit Sekt“. Im Museum zeigt sie mir die besagten pommerschen Trachten. Auch als sie mir die Heimatstube zeigt, eingerichtet dank der Spenden der Bewohner, schwingen Frau Mielkes Kindheitserinnerungen mit. In der kleinen Ecke, welche der FDJ gewidmet ist, der Jugendorganisation der ehemaligen DDR, hebt sie die Augenbrauen: „Meine beiden Ältesten waren bei der FDJ. Da gab es wenigstens eine gewisse Struktur, organisierte Aktivitäten und Sport“, sagt sie mir. „Und sie hingen nicht auf der Straße rum.“ Frau Mielke tut es ein bisschen leid um die guten alten Zeiten. „Wir hatten eine Molkerei, einen Einkaufsladen und ein Kino.“ Alles weg. Naja, jetzt haben wir PLUS und Schlecker, das ist was anderes.“ Sie zuckt mit den Axeln. Was ihr am meisten fehlt, und sie ist nicht die einzige, die mir das anvertraut, ist das kleine « Theater des Friedens ». Nach der Wiedervereinigung hatte die Gemeinde jedoch nicht mehr die notwendigen Mittel, eine solche Einrichtung zu finanzieren. Das kleine Theater ist seitdem geschlossen und, trotz der Übernahme durch eine Privatperson, zerfällt es langsam. „Das war unser kleines Kino, die Kinder erhielten dort ihre Zeugnisse und feierten « Jugendweihe », das staatliche Pendant zur Konfirmation zu DDR-Zeiten. Wir haben so viele Erinnerungen daran, es ist tatsächlich ein Blatt der Geschichte, das umgeschlagen wird…“ Anne, meine junge Gastgeberin aus Schwedt, begleitet mich bis auf die Höhe der städtischen Papierfabrik. Einst war diese Fabrik im Bereich des Papierrecyclings die wichtigste Fabrik Europas, wie mir Annes Vater erzählte, der hier arbeitet. Danach wende ich mich nach Gartz an der Oder, ca. 20km weiter nördlich. Unterwegs passiere ich einige kleine Gemeinden wie die von Friedrichsthal, wo der Tabakanbau eine große Rolle spielte. Mehrmals habe ich die Gelegenheit, die riesigen Scheunen zu bewundern, die zum Trocknen der Tabakblätter dienten. In Gartz angekommen, erahne ich angesichts der imposanten Bauwerke den vergangenen Reichtum der Stadt… Wie ich erfahre, war Gartz, das heute 2.000 Einwohner zählt, im Mittelalter eine Hansestadt, ebenso wie Frankfurt (Oder). „Was der Stadt ihren Reichtum sicherte“, erzählt mir Herr Arndt vom Förderverein für die Region Gartz (Oder) e.V., war unter anderem „eine Eisenkette, die quer über die Oder gespannt war. Es musste ein Zoll an die Gemeinde entrichtet werden, woraufhin diese die Kette heben ließ und den Schiffen die Durchfahrt gewährte“. Schwer vorstellbar heutzutage, doch offensichtlich war diese List durchaus rentabel. Bereits im 13.Jh besaß die Stadt einen Stadtmauer-Ring mit steinernen Mauern, Festungsgraben und Palisaden. Reste dieser Stadtmauer sind hier und da noch sichtbar, insbesondere im Norden der Stadt. Natürlich darf das Stettiner Tor an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, welches sich zwischen dem Rathaus und dem kleinen «Ackerbürgermuseum» befindet. Viele von Euch, die das Abenteuer des Veloblog und seine Entwicklung verfolgen, haben mich gefragt, ob sie mich ein Stück des Weges begleiten dürfen. Um sich aber die Geschichten der Region erzählen zu lassen und die Menschen zu treffen, die dort leben, ist es mir wichtig, „allein“ zu reisen und nicht in einer Gruppe mit der ihr eigenen Dynamik. Dennoch möchte ich allen Interessierten gern die Möglichkeit geben, mich auf einem Teil des Wegs zu begleiten. Dieser führt im Anschluss an den Begegnungstag in Stettin (25.8. im Brama Jazz Cafe) von Stettin zur Mündung der Oder in die Ostsee (Swinoujscie/Swinemünde). Die Wegstrecke beträgt etwa 80 Kilometer, die wir zu Fuß auf 5 Tage verteilt (26.8. - 31.8.) zurücklegen werden. Dabei handelt es sich nicht um eine von A bis Z durchorganisierte Gruppenreise, sondern eher um eine sympathische, basisdemokratische Form des Reisens, wobei der gemeinsame Spaß und der Austausch im Vordergrund stehen! Ganz ohne Zwang und sportlichen Ehrgeiz! Ihr habt Vorschläge oder Ideen für Unternehmungen und Entdeckungen auf unserer Wegstrecke? Ihr kennt Übernachtungsmöglichkeiten? Zögert nicht, uns davon zu erzählen! Wir sind gespannt! Bitte schickt alle Infos an: presse@veloblog.eu Ich würde mich freuen, diese letzte Etappe mit allen Fans des Veloblog zu bestreiten! Kommt mit, wenn ihr begierig darauf seid, die Region zu entdecken und zugleich dieses Abenteuer in einer neuen Form der Begegnung ausklingen zu lassen! Mehr Informationen zu diesem letzten gemeinsamen Abschnitt findet Ihr unter: site Und zögert nicht, das Forum zu nutzen für Mitfahrgelegenheiten, Schlafplatzsuche und weitere praktische Details. Bis bald?! |