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Archiv für den 14. August 2007

Aug
14
Einsortiert unter (Allgemein) von traduction.allemand am 14.08.2007

Nachdem ich der Kellnerin im Café von Groß Neuendorf, Frau Raasch, vom Veloblog erzähle, schlägt sie mir vor, die Nacht bei ihr zu verbringen. Verabredet wurde sich ganz einfach in Neulewin, ungefähr 15 km nördlich von Groß Neuendorf. Ich nehme mir noch die Zeit, ein bisschen in der 400-Seelen-Gemeinde umher zu fahren und folge den Pfeilen zum jüdischen Friedhof und schließlich zur Synagoge. Groß Neuendorf spielt die Tourismus-Karte und macht seine Trümpfe gut zugänglich. Am alten Hafen erklärt mir ein Bewohner mit weißen Haaren die Geschichte der Getreidespeicher, aus denen heute Hotels geworden sind: früher fuhren Lastkähne die Oder hinunter und wechselten im Hafen die Fracht. Getreide, Zuckerrüben, Gemüse usw. Ein Teil der Waren wurde anschließend von 1911 bis 1971 mit Hilfe eines kleinen Zugs in die ehemaligen Sümpfe des Oderbruchs transportiert. Dann gewann der Straßenverkehr die Oberhand und der kleine Zug blieb nichts als Erinnerung.

In Neulewin hielt der kleine Zug ebenfalls. Während ich darauf warte, dass meine Gastgeberin von der Arbeit zurückkommt, erkunde ich das Dorf. Es hat auf ganzer Länge eine interessante Struktur: eine breite Straße und mittendrin kleine Gärten mit Kulturpflanzen. Es gibt mehrere Häuser mit Holzgewölben und Lehm, anscheinend die früher typische Bauweise der Region.
Die Verabredung mit einem Journalisten der Märkischen Oderzeitung schmückt den Abend. Und als die Sonne weiter sinkt, begebe ich mich zu Frau Raasch.

Diese ist noch gar nicht von der Arbeit zurück, und so muß ich erstmal ihrem Mann und einem ihrer Freunde erklären, wieso und weshalb ich überhaupt hier bin. Obwohl sie erst etwas von meinem Besuch überrascht sind, laden sie mich zu sich in die Garage ein, um die Stille des Ortes bei einem Bierchen zu genießen. Die Unterhaltung plätschert so vor sich hin.

Es geht um das Oderbruch, dieses frühere Sumpfgebiet das vor über 200 Jahren auf Befehl des “Alten Fritz” oder Friedrich II., dem damaligen Grundherrn, trocken gelegt wurde. “Der alte Fritz hatte beschlossen, die Oder einige Kilometer weiter östlich umzubetten”, erklärt mir Herr Raasch.”Es wird gesagt, es sei das einzige Mal gewesen, dass er Land gewonnen hätte, ohne dass jemand sterben musste.” Jetzt verstehe ich, warum die heutigen Oderufer so flach sind, warum die Bodenqualität so gut ist und ich verstehe auch den Namen “alte Oder”, die durch Neulewin fließt.

Vom Dorf sprechen wir auch. “Hier hast du die Natur und die Ruhe, eine herrliche Gegend, aber dafür musst du weit fahren, um zu arbeiten, oder aber hierbleiben, und in der Gegend sind viele unterbezahlt.” Einer von ihnen arbeitet in dem Gebäude auf der Baustelle der neuen U-Bahnlinie, die in Berlin unterm Brandenburger Tor entlangführt, der andere ist Tischler im Nachbardorf. Landwirtschaft und Gemüseanbau, die der Region früher den Spitznamen eines “Garten Berlins” einbrachten, das alles ist Vergangenheit. Die Produktionsgenossenschaften made in DDR haben sich zwar in private Unternehmen gewandelt, aber die guten Jahre sind vorbei. “Es gibt auch viele Künstler, die sich hier ansiedeln, besonders aus Berlin. Sie richten die alten Häuser wieder her und holen sich hier Inspiration.” Man merkt, wie sich die Region allmählich den durchkommenden Touristen öffnet. Hier ein Atelier, dort ein Café…



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Juliane, die während der nächsten Woche die Übersetzung des Veloblogs vom Französischen ins Deutsche übernimmt, hat mir davon berichtet: das Frauencafé in Groß Neuendorf, geführt von Frau Rindfleisch, darf man nicht verpassen. Glück gehabt, denn die Vorsitzende des Vereins ist gerade dabei, ihren Briefkasten zu leeren, als ich von meinem Rad steige… So erfahre ich bei einem Kaffee und einem herrlichen Stück Kuchen, wie das Abenteuer angefangen hat.

Nach der Wiedervereinigung erwies sich die Landwirtschaft als zu unrentabel und die Frauen waren damals die ersten, die ihre Arbeit verloren. Insebsondere die “jenseits der 40″, erklärt mir Frau Rindfleisch, die selbst in einer Zuckerrüben-Fabrik des Dorfs gearbeitet hat. “In diesem Alter ist es schwierig, seine Heimat zu verlassen und wieder bei null anzufangen. Wir haben also überlegt, was wir an Ort und Stelle machen können und uns entschlossen, auf Tourismus zu setzen.” 1994 wird Frau Rindfleisch zur Bürgermeisterin von Groß Neuendorf gewählt. Ein Grund, die Entwicklung der Gemeinde noch ernster zu nehmen. Noch im selben Jahr kauft die Stadtverwaltung das Dorf-Restaurant zurück, das bereits seit mehreren Jahren leer steht. Die Renovierungsarbeiten werden eingeleitet und die Mittel, die vom Hochwasser 1997 stammen, geben einen zusätzlichen Anschub: 1998 öffnet das Café seine Türen. Nachdem sie während der ersten Jahre als Freiwillige tätig waren, beschäftigt der Verein dort inzwischen sechs Frauen. Operation gelungen: arbeitslose Frauen haben sich ihren Arbeitsplatz in der Region geschaffen und das Café gewinnt an Bekanntheit.

Aber damit endet die Arbeit von Frau Rindfleisch und ihren BegleiterInnen nicht. Eine Bibliothek wird eröffnet, nicht zuletzt im Hinblick auf die Jugendlichen, die sich nicht alle einen eigenen Internetanschluß oder die Schulbücher leisten können. “Wir leisten hier auch Sozialarbeit und versorgen beispielsweise ca. 50 Senioren mit Mahlzeiten, und das im Umkreis von bis zu 70 km, häufig in abgelegenen Ecken, wo keine Firma sich um sie kümmern würde.”

Aber die Geschichte des Frauencafés von Groß Neuendorf zeigt nicht nur, wie die Frauen der ehemaligen DDR ihr Schicksal nach der Wiedervereinigung in die eigene Hand nehmen. Das Café sieht sich auch als regionaler Akteur im Oderbruch. “Wir organisieren Begegnungen zwischen deutschen und polnischen Künstlern und auch thematische Veranstaltungen mit dem Ziel, die Region als eine Einheit zu betrachten”, erklärt mir die Vorsitzende des vielseitigen Vereins. Deutsche und Polen hätten sich sehr für das Thema des letzten Jahres interessiert: die 300jährige Nachbarschaft und die Frage der Vertreibung der Bevölkerung. “Die diesjährige Ausstellung, 10 Jahre nach der Oderflut, hatte ebenso großen Erfolg.” Und schon plant das kleine Team für den Herbst eine neue Ausstellung zu einem weiteren grenzüberschreitenden Thema, den Kindersoldaten im Zweiten Weltkrieg.

Frau Rindfleisch gesteht mir mit einem Lächeln, dass sie sich vielleicht gar nicht auf das Abenteuer eingelassen hätte, hätte sie damals geahnt, wieviel Energie das Café sie kosten würde! Und fügt hinzu, dass sie so langsam anfängt, neue Mitarbeiter zu suchen, die ein klitzekleines bißchen jünger sind, und die den Staffelstab dann übernehmen.



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Fest entschlossen, einen Teil des Wegs auf dem Fluß zurückzulegen, um die Grenze auch anders zu erleben, kümmert sich jetzt Andre Schneider um mich. Er ist Fischer und der Neffe der Familie Schneider, die das Fischgeschäft weiter südlich in Finkenheerd betreiben, wo das Veloblog in der vergangenen Woche Halt gemacht hat. Ebenso sympathisch erklärt mir Andre, dass es heute nicht mehr möglich ist, vom Fischfang zu leben. Er hat zwar eine Ausbildung gemacht, um diesen Beruf zu erlernen, aber die Zukunft sieht er eher in den Radwegen der Oder-Neisse-Region.

Nicht weit vom Grenzübergang entfernt, verkaufen die Schneiders die Fische, die sie in der Oder gefangen haben, und in Kuhbrücke, ein paar Kilometer weiter nördlich, führen sie eine Pension am Rand des Deichs. “Wir verdienen unser Geld eher mit dem Tourismus als mit der Fischerei”, sagt mir Andre, während er mir die Zimmer und den Gemeinschaftsraum mit Küche zeigt, wo die Besucher zusammenkommen können. Die Schneiders bieten auch Boots- und Kanu-Touren auf der Oder an, auf denen sie Interessierten gerne von der Region erzählen. “Wir warten darauf, dass die Grenzen sich öffnen, damit wir unsere Aktivitäten in Richtung Polen ausweiten können.”

Andre nimmt sich morgens Zeit, um mit mir zu paddeln. Eine kleine Fahne mit den Deutschland-Farben ist auf dem Kanu gehisst. “Das ist Pflicht”, sagt Andre und ergänzt, dass das Befahren der Oder vor der Wiedervereinigung gar nicht erlaubt war. “Derzeit kann man auf der Oder fahren. Wenn man aber die Warte befahren und weiter nach Polen fahren will, muß man haufenweise Formulare ausfüllen. Wir warten auf´s nächste Jahr, wenn die Grenzen geöffnet werden, um loszulegen.”

Gleiches gilt fürs Fischen. Die Vorschriften ändern sich von einem Fluss zum andern. Polen wie Deutsche müssen in Besitz einer Fangerlaubnis des Landes sein, in dem sie fischen. Und während erstere ihre Autos bis an den Fluß fahren dürfen, müssen letztere in mindestens 500m Abstand zur Oder parken und anschließend ihre Ausrüstung selber an den Fluss tragen. Erklärt sich so vielleicht die größere Zahl an Fischern auf der polnischen Seite?

Wir lassen uns bis auf die Höhe von Genschmar treiben, wo Andres Schwager uns mitsamt meines Fahrrads und Gepäcks im Anhänger aufsammelt. Das ist wirklich toll, denn so kann ich meinen Weg mit dem Rad fortsetzen, nachdem ich in Andres Gesellschaft eine wunderbare Zeit verbracht habe.



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