Archiv für den 4. August 2007Von Beginn an habe ich euch nie etwas darüber erzählt, wie das Veloblog eigentlich funktioniert. Und ich lege euch eine kleine Geschichte nach der anderen vor, die dann von einem Team von jungen engagierten Leuten ins Deutsche und Polnische übersetzt werden, unterstützt durch einen anbetungswürdigen Webmaster. Wir arbeiten nicht nach einem 3×8-Schichtsystem, aber fast. Wenn das Veloblog ruft… Aber in letzter Zeit wurde eine Pause wirklich nötig: Meine Fähigkeiten, eine Geschichte nach der anderen zu hören und sie dann für euch auf nette Art und Weise nieder zu schreiben, waren erschöpft. Ich brauchte Schlaf und ein bisschen Ruhe. Die Entscheidung war gefallen: In Eisenhüttenstadt, der nächsten Etappe meiner Reise, nehme ich eine Pension und strecke alle Viere von mir. Allerdings musste ich die Stadt der Stahlindustrie, von der mir schon so viel erzählt worden war, erst einmal erreichen. Erbaut wurde sie in den 60er bis 90er Jahren, um das Modell par excellence einer sozialistischen Stadt in der DDR zu werden. Ein Abenteuer, an das sich Roswytha, die ich flussaufwärts in Groß Bademeusel getroffen hatte, gut erinnert: Viele junge Paare wollten nach Eisenhüttenstadt, weil man dort eine völlig neue Wohnung ebenso wie eine Arbeit, meistens beim EKO Stahl Kombinat, bekam. Was will das Volk mehr? Es lag nicht an mangelnder Neugier, aber ich habe trotzdem sehr viel Zeit gebraucht, um in Eisenhüttenstadt anzukommen. Und zwar, weil ich mich in den vorstädtischen Schrebergärten entlang der Oder verfahren habe. Sehr nett, mit Blumen, Pflaumen und Äpfeln für denjenigen, der nach dem Weg fragt, ohne den kleinen Stolz der Besitzer zu vergessen: die drei Störche, die auf dem Strommast sitzen und nur darauf warten, fotografiert zu werden. Ein netter kleiner Umweg und dann erreiche ich endlich den Stadtteil Fürstenberg. Augenscheinlich nicht besonders sozialistisch. Es ist jenes Dorf, welches existierte, bevor Eisenhüttenstadt mit einem Mal aus dem Boden gestampft wurde. Und hier fühlt man sich auch nicht zu Eisenhüttenstadt gehörig, wie man mir zu verstehen gibt, als ich frage, wo denn das Zentrum sei. Und es gibt auch kein richtiges Zentrum in Eisenhüttenstadt. Hier ist die Rede von Häuserblöcken: Von Block 1 bis Block 7. Um es kurz zu machen: Ich erfahre, dass sich das Touristenbüro in der Lindenallee, zwischen Block 1 und Block 4 befindet. Mein Orientierungssinn braucht ein wenig Zeit, um sich daran zu gewöhnen, aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an… Und von dort bin ich dann in der Gartenstraße, im Stadtteil Schönfließ, gelandet, dem anderen Dorf, das es bereits vor der Erbauung der sozialistischen Stadt gegeben hat. Dort erwartete mich eines der letzten freien Zimmer in der Stadt, denn viele seien von Monteuren und Ingenieuren belegt, die das Wochenende über in Eisenhüttenstadt blieben. Ich hatte ja keine Ahnung von meinem Glück… Nach so wunderbaren Begegnungen, nach Gastgebern, die alle so verschieden, aber immer so zuvorkommend waren, hatte ich nun das Gefühl, mich bei der Hexe aus der Rue Mouffetard einquartiert zu haben! Gefragt zu werden, ob ich Hausschuhe hätte, ohne sich vorher nach meinem Namen zu erkundigen, über Brille und Zeitung hinweg taxiert zu werden: und das alles für ein bisschen Erholung! Vielleicht bin ich ja durch die vergangenen Tage verwöhnt worden, aber ich trauere den kleinen Geschichten und der netten Gesellschaft fast ein wenig nach – ich, die ich doch absolut Ruhe nötig hatte! Und das Schlimmste ist, dass das hier gut und gerne eine Geschichte wert ist… die Geschehnisse aus der Pension in der Gartenstraße. Ich habe der Besitzerin und Meisterin der Gerissenheit versprochen, dass ich ihre Pension auf unserer Seite in drei Sprachen beschreiben werde. Umsonst? Und schon wird die Stimmung freundlicher und ich mache einen Rundgang durch das Haus. Sechs Schlafzimmer, alle mit Fernseher und Teppichboden. Die Badezimmer mit Fußbodenheizung etc. etc. Es gibt nichts auszusetzen, alles ist sauber. Kinder sind auch willkommen, wenn sie aber ins Bett machen, müsst ihr die Matratze bezahlen. Die Nacht kostet 19 Euro (ziemlich teuer für die Ecke hier) und drei Euro extra fürs Frühstück. „Sie können vier Euro schreiben, bei den Preissteigerungen…“, sagt mir die Besitzerin, einer Ameise gleich… Aber lasst uns diese „Gartengeschichten“ mit einer kommunikativeren Anmerkung abschließen: Die kleinen Schrebergärten in den Diehloer Bergen, im Westen der Stadt, sind wirklich einen Abstecher wert, auch wenn die Wege für unerfahrene Mountainbikefahrer ziemlich heikel sind. Oben auf dem Berg, von der Rodelbahn aus, hat man einen wirklich genialen Ausblick über die Stadt. Dort kann man endlich auftanken… Das Europäische Begegnungszentrum in Ratzdorf Tolles Hotel mit Restaurant und Panoramaterrasse, aber niemand an der Rezeption und überhaupt ist kein junger Mensch in Sichtweite. Selbst die Jugendlichen interessieren sich kaum für diesen Ort. Und dennoch mangelt es dem Bürgermeister, Henry Bergel, nicht an Ideen. Herr Bergel erklärt mir lang und breit seine Vorschläge, in der Hoffnung, dass er mich meinen Notizblock bis auf die letzte Seite voll schreiben sieht. Nach langer Vorrede über die Symbolkraft des gewählten Ortes - an der Mündung von Oder und Neiße, zwischen Ost und West, in einer Region, die Perspektiven braucht – erinnert er an den schwierigen Aufbau des Zentrum durch EKO Stahl im Jahr 1996, dann über die Spekulationen der Dorfbewohner über das neue Gebäude. „Das war für mich ein wenig schwierig, als ich hier angekommen bin, denn ich sollte das Personal für das Zentrum und das Hotel mit Restaurant einstellen, das eingerichtet wurde, um den Verein zu finanzieren“, erklärt er mir. „Die Kandidaten waren nicht informiert und kamen für Stellen als Monteure und Mechaniker. Und ich, ich suchte doch Köche und Reinigungspersonal.“ Eine gewisse Frustration machte sich breit. Herr Bergel bekennt, dass das Verhältnis zu den Dorfbewohnern besser sein könnte. Wie auch immer, er hat noch andere Pläne im Hinterkopf. Zum Beispiel den Bau einer Brücke über die Neiße, die den Polen den Zugang zum Europäischen Zentrum erleichtern würde. Nichts weiter als eine kleine Brücke für Fußgänger und Radfahrer…nicht zwangsläufig eine „bridge of peace“ wie es eine Zeit lang zur Debatte stand. Bloß eine Brücke. Um das Zentrum wirklich europäisch zu machen. Denn momentan ist es doch eher ruhig hier. Die 60 Betten sind nicht belegt. Herr Bergel erklärt mir, dass die Struktur, das heißt fünf Angestellte und fünf Auszubildende, nicht ausreicht, um ganze Ferienlager zu beherbergen. „Das wäre too much!“ Und er fährt mit dem nächsten Projekt zur regionalen Einheit, auf deutscher wie auf polnischer Seite, fort. Hier wie dort gibt es keine Industrie mehr und die Landwirtschaft funktioniert auch nicht. Aber die Landschaft ist einzigartig. Auf diesem Gebiet, dem Tourismus, muss man etwas unternehmen. Und man sollte anmerken, dass die Region, was den Tourismus betrifft, vergleichbar mit dem Bayern der 60er Jahre ist. Herr Bergel sprudelt nur so vor guten Ideen. Aber die Umsetzung erscheint schwierig. Er spricht gerne über ein jährliches Fest für die Kinder aus beiden Ländern, über das Mündungsfest, das auch den regionalen und partnerschaftlichen Zusammenhalt unter den Nachbardörfern ankurbeln soll. Und als ich anmerke, dass ich das ein wenig mager finde, wie die Lokalitäten genutzt werden, fügt er hinzu, dass diese von Firmen für die Veranstaltung von Seminaren in Anspruch genommen werden. Vor allem Seminare von deutschen Firmen finden dort statt. Und dann natürlich die Fahrradtouristen auf Durchreise. Zusammengefasst: Das im Jahr 2000 eingeweihte Europäische Zentrum ist noch in der Entwicklung. Vielleicht können ja der Bau einer Brücke sowie der Eintritt Polens in den Schengener Raum, die Europäer dazu veranlassen, sich hier zu treffen. |