Archiv für die ‘Euroregion Neiße’ Kategorie
Nachdem ich mich mit der Partnerorganisation “Wir°My” getroffen habe, um die letzten Vorbereitungen für die Rallye in Görlitz-Zgorzelec zu treffen, mich in der Neißegalerie vorgestellt habe und beim Flyer Verteilen mehrfach die Frage zu hören bekam “Sind Sie die Französin von der Zeitung?”, sitze ich jetzt einem jungen Kommunikationstrainer gegenüber, Jörg Heidig, Diplom-Kommunikationspsychologe und Mitarbeiter des Instituts für Kommunikation, Information und Bildung” in Görlitz. Der junge Intellektuelle war mir von Rebecca empfohlen worden - meiner ersten Gastgeberin in Großhennersdorf - weil er gerade seine Doktorarbeit darüber schreibt, wie sich Deutsche, Polen und Tschechen selbst und gegenseitig einschätzen. Der Blick des Anderen auf den Anderen in der Euroregion Neiße, auf Grundlage einer Stichprobe von fünfzehn bis zwanzig Personen pro Land. “Mein Ziel ist es, das Verständnis und damit die Kommunikation zwischen den drei Ländern zu verbessern”, so Jörg Heidig. “Im Moment gibt es zwar Kooperationen, aber die sind mehr oktroyiert als spontan.” Derzeit steht er am Anfang der Empiriephase seiner Dissertation und befragt die Deutschen über ihr Bild von sich selbst, den Polen und den Tschechen. “Man findet wirklich die alten Stereotypen wieder, wie etwa, dass die einen wie die anderen arm, aber herzlich und gastfreundlich sind. Viele Deutsche fühlen sich den Tschechen näher als den Polen. Vielleicht, weil die Tschechen lange im deutschen Sprachbereich gelebt haben”, meint Jörg Heidig. Nach den ersten Interviews scheint der EU-Beitritt Polens und Tschechiens im Mai 2004 zwiespältig beurteilt zu werden. “Die einen finden es gut, seit der EU-Erweiterung weniger am Rand zu leben, die anderen fürchten einen Anstieg der Kriminalität, des Drogenhandels und der Autodiebstähle.” Und auf die Frage, ob eines Tages die Grenze verschwinden wird, bekommt er oft ein Nein, denn die Sprachbarriere bleibe ja sowieso…
Dieses Mal habe ich im Kloster Sankt Marienthal Zuflucht gefunden. Das riesige Zisterzienserkloster, direkt am Ufer der Neiße gelegen, hat stark zur Entwicklung der Grenzstadt Ostritz beigetragen, allerdings selbst nur wenig mit der Grenze zu tun. Diese Niederlassung, die seit dem 13. Jahrhundert besteht, derzeit mitten in Renovierungsarbeiten steckt und in der noch vierzehn Schwestern leben, bietet Durchreisenden ein Dach über dem Kopf. Abgesehen von der Ruhe des Ortes, der Bibel auf dem Nachttisch und dem kleinen Jesus an der Wand ist der Unterschied zu einer Pension nicht sehr groß. Ein für Veloblog interessanter Punkt ist allerdings das Projekt PONTES, das auch im Kloster untergebracht ist. Es gehört zum internationalen Begegnungszentrum desselben und organisiert trinationale Begegnungen in der Euroregion Neiße. “Die Organisation wurde 2002 mit dem Beginn des Programms ‘Lernende Regionen‘ des deutschen Bildungsministeriums gegründet”, erklärt mir Claudia Meusel freundlich. “PONTES entwickelt Projekte, um die Region zu entwickeln und den Bewohnern zu helfen, hier Arbeit zu finden, Männern wie Frauen.” Weitere PONTES-Zweigstellen gibt es in Polen und der Tschechischen Republik; sie beteiligen sich an der Koordinierung der verschiedenen Projekte. Seit dem EU-Beitritt und einer vereinfachten Subventionsvergabe zeigen laut Frau Meusel Polen und Tschechen immer größeres Interesse. Und dann erzählt sie leicht amüsiert, wie die gemeinsame Arbeit vonstatten geht: “Die Deutschen sind immer sehr korrekt, machen für alle Welt Kopien und sind sehr pünktlich. Die Tschechen und vor allem die Polen sind viel entspannter. Die Arbeit wird gemacht, aber manchmal muss man das Ganze fünfmal wiederholen!” Im Gegenzug beherrschen immer mehr Polen und Tschechen die Sprache Goethes. Vielleicht, weil die Begegnungen meist im Kloster Sankt Marienthal stattfinden, wegen der dort vorhandenen Ausstattung? PONTES ist derzeit mitten in einer Umstrukturierungsphase. Das Programm “Lernende Regionen” ist ausgelaufen, nun müssen Abschlussberichte verfasst und neue finanzielle Unterstützungen gefunden werden. Aber Frau Meusel macht sich keine Sorgen, das Abenteuer wird weitergehen, die vierzehn Beschäftigten von PONTES und ihre Partner werden sich weiter verausgaben, um Projekte zur Dynamisierung der Euroregion Neiße zu organisieren. |